Man muß wie ein Pilger wandern…

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Man muß wie Pilger wandeln,
Frei, bloß und wahrlich leer;
Viel sammeln, halten, handeln
Macht unsern Gang nur schwer.
Wer will, der trag‘ sich tot!
Wir reisen abgeschieden,
Mit wenigem zufrieden,
Wir brauchen’s nur zur Not.

Gerhard Tersteegen (1697–1769) in: Ermunterungslied für die Pilger

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In die Weite und Stille des Nichts versinken

Meister Eckhart – Tür in Erfurt / Foto: (c) wak

Hier versinkt der Mensch, der ganz abgeschieden geworden ist und der in diesem Sinne nichts geworden ist, nichts denken, nichts wollen, nichts haben, der reine Stille und Leere und Offenheit ist: er versinkt in die Weite und Stille des Nichts, das von keinem Etwas mehr getrübt ist.

Bernhard Welte (1906 – 1983) in: Meister Eckhart. Gedanken zu seinen Gedanken, Freiburg-Basel-Wien, 1992, S. 87

Mit Gott einförmig

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Was ist des abgeschiedenen Herzens Gebet? Ich antworte: Abgeschiedenheit und Reinheit kann nicht bitten, denn wer bittet, der begehrt etwas von Gott, was ihm zuteilwerde oder was Gott ihm abnehmen soll. Nun begehrt aber das abgeschiedene Herz nach nichts und hat auch nichts, dessen es gerne ledig wäre. Darum ist es allen Gebets entledigt, und sein Gebet ist nichts anderes als mit Gott einförmig.

Meister Eckharts Mystische Schriften. In unsere Sprache übertragen von Gustav Landauer, 21920, S. 109

Einförmig sein mit Gott

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Was ist des abgeschiedenen Herzens Gebet? Darauf antworte ich wie folgt und sage: Abgeschiedene Lauterkeit kann nicht beten, denn wer betet, der begehrt etwas von Gott, das ihm zuteil werden solle, oder aber begehrt, daß ihm Gott etwas abnehme. Nun begehrt das abgeschiedene Herz gar nichts, es hat auch gar nichts, dessen es gerne ledig wäre. Deshalb steht es ledig allen Gebets, und sein Gebet ist nichts anderes als einförmig zu sein mit Gott.

Meister Eckhart (1260 – 1328) in seinem Traktat „Von der Abgeschiedenheit“

Wie ein breiter Berg gegen einen kleinen Wind

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Nun sollst du erfahren, dass richtige Abgeschiedenheit nichts anderes ist, als dass der Geist gegen alle Umstände, sei es Freude oder Leid, Ehre, Schaden oder Schmach, so unbeweglich bleibt wie ein breiter Berg gegen einen kleinen Wind. Diese unbewegliche Abgeschiedenheit bringt den Menschen in die größte Gleichheit mit Gott. Denn dass Gott Gott ist, das hat er von seiner unbeweglichen Abgeschiedenheit, und davon hat er seine Reinheit und seine Einfachheit und seine Unwandelbarkeit. Will daher der Mensch Gott gleich werden, soweit eine Kreatur Gleichheit mit Gott haben kann, so muss er abgeschieden sein. Und du sollst wissen: Leer sein aller Kreaturen ist Gottes voll sein, und voll sein aller Kreatur ist Gottes leer sein.

Aus „Von der Abgeschiedenheit“. In: Meister Eckharts mystische Schriften. Aus dem Mittelhochdeutschen in unsere Sprache übertragen von Gustav Landauer, Berlin 2. Auflage 1920. Bearbeitet von Martin Buber

Formlos und ohne allen Zustand

Ein Meister, namens Avicenna spricht: Die Stufe des Geistes, der abgeschieden ist, ist so hoch, das alles, was er schaut, wahr ist, und was er begehrt, wird ihm gewährt, und wo er gebietet, da muss man ihm gehorsam sein. Und ihr sollt das fürwahr wissen: wenn der freie Geist in rechter Abgeschiedenheit steht, so zwingt er Gott zu seinem Wesen; und könnte er formlos und ohne allen Zustand sein, so nähme er Gottes Eigenschaft an. Das kann aber Gott niemandem geben als sich selbst; daher kann Gott dem abgeschiedenen Geiste nicht mehr tun, als dass er sich ihm selbst gibt.

Meister Eckhart (1260 – 1328)